Mitte Juli haben die Bundesminister Heil und Müller angekündigt: Jetzt kommt das Lieferkettengesetz! Auch die Bundeskanzlerin hat sich hinter das Vorhaben gestellt. Inzwischen sind Eckpunkte für ein Gesetz bekannt geworden. Wie sind sie zu bewerten?
Berlin, 30.07.2020 – Die Unternehmensbefragung der Bundesregierung, aber auch zahlreiche Studien und Fallbeispiele der Zivilgesellschaft haben gezeigt: Freiwillig tun Unternehmen viel zu wenig für Menschenrechte und Umwelt. Die Ankündigung der beiden Bundesminister, ein Lieferkettengesetz vorzulegen, ist daher überfällig. Die im Juni 2020 bekannt gewordenen Eckpunkte für das Gesetz von BMZ und BMAS bilden eine wichtige Grundlage für den anstehenden Gesetzgebungsprozess. Wir von der Initiative Lieferkettengesetz, die inzwischen mehr als 100 zivilgesellschaftliche Organisationen vereint, begrüßen und unterstützen diesen Prozess ausdrücklich.
Besonders positiv an den bekanntgewordenen Eckpunkten ist: Sie beschreiben die unternehmerischen Sorgfaltspflichten klar und deutlich. Dabei orientieren sie sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Gut so, denn diese sind der internationalen Standard! Ebenfalls sehr positiv: Die Eckpunkte sehen vor, dass eine Behörde kontrollieren soll, ob sich die Unternehmen an ihre Pflichten halten. Tun sie das nicht, soll das fortan zu Bußgeldern oder dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen führen können. Das ist enorm wichtig, denn: Ohne Sanktionen wäre ein Lieferkettengesetz nur ein Papiertiger. Außerdem begrüßen wir, dass im Schadensfall Betroffene die Möglichkeit bekommen sollen, bei deutschen Gerichten Entschädigungsklagen einzureichen.
Alles bestens also? Leider nicht ganz. Denn bei den Eckpunkten gibt es auch deutlichen Nachbesserungsbedarf. Hier muss mehr drin sein, damit das Lieferkettengesetz wirkt!
Da wäre zum einen das Thema Umwelt: Die Eckpunkte von BMZ und BMAS sehen derzeit keine generelle umweltbezogene Sorgfaltspflicht für Unternehmen vor – es sei denn, es besteht ein „menschenrechtlicher Bezug“. Wann der gegeben ist? Das ist derzeit völlig unklar. Denn viele Umweltschäden entwickeln sich erst nach Jahren zu Menschenrechtsverletzungen. Wir finden deshalb: Ein Lieferkettengesetz muss die Unternehmen generell zu umweltbezogener Sorgfalt verpflichten – auch wenn noch keine Menschenrechtsverletzung eingetreten ist. Dass das rechtssicher möglich ist, zeigen ein aktuelles Rechtsgutachten von BUND, Greenpeace und der Deutschen Umwelthilfe ebenso wie eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes.
Auch der vorgesehene Anwendungsbereich des Gesetzes ist problematisch: Die Eckpunkte sehen vor, dass das Gesetz erst für Unternehmen ab 500 Mitarbeiter*innen gelten soll. Das reicht nicht aus – und es leuchtet auch nicht ein: Denn das deutsche Gesetz definiert schon Unternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen als „groß“. Das Lieferkettengesetz sollte für alle großen Unternehmen gelten! Außerdem muss es auch kleinere Unternehmen ins Auge fassen, falls diese in Sektoren mit besonders großen Menschenrechtsrisiken tätig sind. Was aus unserer Sicht gar nicht geht, sind pauschale „Freifahrtscheine“ für Unternehmen, wenn sie staatlich anerkannten Branchenstandard wie z.B. dem „Grünen Knopf“ beitreten. Die aktuellen Eckpunkte sehen aber genau das vor: Unternehmen sollen in diesem Fall für fahrlässig herbeigeführte Schäden entlang ihrer Lieferketten nicht mehr zivilrechtlich belangt werden können – sie erhalten eine „Haftungsfreistellung“. Wir finden: Wenn ein Schaden eintritt und Betroffene gegen ein Unternehmen klagen, muss die Schuldfrage immer eine Einzelfallentscheidung sein, die von einem Gericht geklärt wird. Die Beweislast darf dabei nicht bei den Betroffenen liegen, sondern muss umgekehrt werden: Die Unternehmen sollten beweisen müssen, dass sie genug getan haben, um mögliche Schäden zu verhindern.
Es gibt noch einige weitere Stellen, an denen die Eckpunkte Nachbesserungsbedarf haben. Nachlesen könnt ihr das in unserer ausführlichen Auswertung der Eckpunkte. Ein wirksames Lieferkettengesetz kann effektiv dazu beitragen, Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden entlang von Lieferketten zu reduzieren. Doch dafür muss es deutlich über die von BMZ und BMAS vorgelegten Eckpunkte hinausgehen.